Auch nach einem Jahr hat der Krieg in der Ukraine noch immer von Millionen Menschen weltweit. Für viele Familien im Land hat der Konflikt das Leben, so wie sie es einst kannten, völlig zerstört. Familientreffen, Schultage mit Freund*innen und Mittagessen mit Arbeitskolleg*innen wurden durch Luftangriffe, Raketeneinschläge und Stromausfälle ersetzt. 

Im vergangenen Jahr hat ̽»¨¾«Ñ¡ mit lokalen Partnerorganisationen in der Ukraine, in Polen und in Moldawien zusammengearbeitet, um den Menschen Nothilfe zukommen zu lassen. Neben Decken, Heizungen und warme Kleidung, zählen dazu auch Bargeld und sichere Räume für Frauen und Kinder. Unsere Hilfe hat über 2,7 Millionen ukrainische Geflüchtete weltweit und 414.500 Menschen in der Ukraine mit wichtiger Unterstützung vor Ort und Online-Informationsdiensten erreicht. 

Auch im Jahr 2023 ist kein Ende des Krieges in Sicht. 

Drei Geschichten aus der Ukraine zeigen, wie sich der Krieg auf die Menschen und ihre Angehörigen auswirkt. 

Irina & Safiya

A girl hugging a woman

Irina, 44, und ihre älteste Tochter Safiya, 9, erleben solch einen Konflikt nicht zum ersten Mal. Im Jahr 2014, als Safiya noch keine 2 Jahre alt war, flohen sie aus ihrer Heimat in der Donbass-Region, um der anhaltenden Gewalt zu entkommen. Nach anderthalb Jahren konnten sie in ihre Heimat zurückkehren - bis der Konflikt im Jahr 2022 zu einem Krieg eskalierte. 

Diesmal wollte Irina ihre Heimatstadt nicht verlassen. Sie hatte als Buchhalterin in einem Lebensmittelladen gearbeitet und war mit ihrem dritten Kind im Mutterschaftsurlaub. Außerdem kümmerte sie sich um ihre 94-jährige Mutter, nachdem ihr Vater gestorben war. 

„In der Stadt fielen Schüsse und Explosionen", erinnert sie sich. „Eines Nachts nahm ich das Baby mit in den Korridor, stellte den Stuhl an [die Eingangstür] ... Wir schliefen im Korridor."

In der darauffolgenden Nacht waren die Explosionen in unmittelbarer Nähe. Irina erkannte, dass es an der Zeit war zu evakuieren. Also packten sie und ihr Mann die wichtigsten Dinge ins Auto und fuhren nach Westen, wo sie in Kirchenkellern unterkamen. Sie wussten, dass sie einen dauerhaften Ort für die Kinder finden mussten. 

Winnyzja, eine kleine Stadt im Landesinneren, war als Zufluchtsort bekannt, an dem humanitäre Hilfe und Wohnungen für die Betroffenen angeboten wurden. Bei ihrer Ankunft fühlte sich Irina zwischen den alten Gebäuden und den Kopfsteinpflaster-Straßen wie zu Hause.

„Unsere Familie hat sich für Sozialleistungen angemeldet", sagt Irina. „Wir erhalten Lebensmittelpakete. Wir leben jetzt von der humanitären Hilfe, die in der Stadt verteilt wird." 

„Ich hatte die ganze Zeit über Angst", sagt Irina. „Bevor wir abreisten, hörte sie zu Hause immer wieder Schüsse im Hintergrund. Sie konnte jede Nacht nicht schlafen. Es entwickelte sich zu einem dauerhaften Problem." 

Safiya erhält psychologische Unterstützung durch das Safe Healing and Learning Center des ̽»¨¾«Ñ¡, was ihre Ängste reduziert und ihr Wohlbefinden verbessert. Sie knüpft dort neue soziale Kontakte und nimmt an den Aktivitäten im Klassenzimmer teil. 

„Ich mag diesen Unterricht", sagt sie. „Diese Menschen hier, sind so cool." 

Safiya zeigt ihr Kunstwerk, das sie im Safe Healing Learning Space des ̽»¨¾«Ñ¡ gemalt hat.
Foto: Joanna Nahorska/̽»¨¾«Ñ¡

Irina rechnet nicht damit, bald nach Hause zurückkehren zu können. „Es gibt dort kein Gas, kein Wasser und keinen Strom. Keiner weiß, wann das wieder repariert wird. Jetzt im Winter frieren die Rohre ein und wir müssen alle Häuser neu renovieren." 

Im Moment ist Irina fest entschlossen, ihrer Familie ein Gefühl der Normalität zu geben und Vinnytsia vielleicht zu ihrer neuen Heimat zu machen. 

„Langfristig möchte ich ein Haus kaufen", sagt sie. „Mein Mann arbeitet und auch ich werde nach dem Mutterschaftsurlaub wieder arbeiten gehen. Ich habe als Verkäuferin und Buchhalterin gearbeitet. Ich denke, ich kann mir hier was aufbauen." 

Olga

Woman standing in front of a house and car

Vor dem Krieg in der Ukraine war Olga, 57, immer aktiv. An Wochentagen arbeitete sie als Schaufelmodelliererin in einer Turbinenfabrik in Mykolaiv. In ihrer Freizeit probte sie und tourte mit ihrem ukrainischen Folkloreensemble Zoryanochka auf Festivals. 

Der Krieg stellte Olgas Leben auf den Kopf. Sie verlor ihre Arbeit und ihre Folkloregruppe löste sich auf. Doch das Schlimmste war, dass sie von ihren Kindern getrennt wurde - eine schmerzhafte Erfahrung, über die sie nicht sprechen kann. 

Als ihre Stadt unter schweren Beschuss geriet, versteckten sich Olga und ihr Mann zusammen mit ihren Nachbarn im Keller. Sie versuchten in das Haus ihrer Schwester zu evakuieren, aber Olga wurde unruhig, so dass sie nach Hause zurückkehrte und sich darauf konzentrierte, zu kochen und andere Betroffene zu versorgen. 

„Ich kann nicht zu Hause sitzen", sagt sie. „Ich muss etwas tun."

Olga holt einige Gläser mit eingelegtem Gemüse aus ihrem Keller.
Olga in ihrem Gurkenkeller in Mykolaiv, Ukraine. Als die Kämpfe ihr Viertel erreichten, verbrachten Olga und ihre Nachbarn mehrere Tage und Nächte in dem kleinen Keller und nutzten ihn als Luftschutzkeller. Manchmal war die einzige Nahrung, die sie hatten, ihr eingelegtes Gemüse. Olga wurde durch das ̽»¨¾«Ñ¡ Cash-Transfer-Programm unterstützt.
Foto: Diana Zeyneb Alhindawi/̽»¨¾«Ñ¡

Der Krieg hat Olgas Gesundheit, die durch eine Krebserkrankung beeinträchtigt war, stark gefährdet. „Der Stress, die Nerven und die Kälte" verschlimmern ihren Zustand. 

̽»¨¾«Ñ¡ unterstützt Olga mit Bargeld, das sie für den Kauf von Medikamenten verwendet.  

Dennoch sind ihre Tage, gefangen in einem andauernden Krieg, voller Angst und Ungewissheit. 

„Wenn man ins Bett geht, hat man Angst, wenn man aufwacht, betet man", sagt sie. „Man steht auf und wartet darauf, was als Nächstes passiert - ich warte darauf, ob es von oben kommt oder nicht und wie es ausgeht. Ich bete, dass unsere Jungs alle überleben werden". 

Wenn Olga an ihr Leben vor dem Krieg zurückdenkt, erscheint es ihr wie ein ferner Traum. 

„Wir haben unser Leben genossen. Wir lächelten, wir lachten ... wir sangen, wir tanzten ... wir lebten wie menschliche Wesen." 

Trotz allem arbeitet Olga weiterhin ehrenamtlich und verteilt Brot an die Menschen in ihrer Umgebung. Sie hofft, dass die Energie, die sie aufwendet, um anderen zu helfen, ein früheres Ende des Krieges bewirkt. 

„Ich möchte denen helfen, denen es schlechter geht, die an der Front sind. Ich möchte den Alten, den Kindern und den Arbeitslosen helfen. Ich denke, je mehr wir uns gegenseitig helfen, desto schneller wird der Krieg vorbei sein.

Maryna & Serhii

A family in front of ruined buildings
Maryna hat ihre beiden Kinder nach einem Raketeneinschlag in ihrem Haus aus den Trümmern befreit.
Foto: Diana Zeyneb Alhindawi/̽»¨¾«Ñ¡

Maryna, ihr 3-jähriger Sohn Rostik und ihre 11-jährige Tochter Kira waren zu Hause, als um 1.00 Uhr nachts eine Rakete in ihr Haus einschlug. Zuvor war Marynas Ehemann Serhii auf einer Geschäftsreise nach Kiev und Maryna hatte ein mulmiges Gefühl, dass etwas passieren könnte, während seiner Abwesenheit. 

Maryna kann sich nicht daran erinnern, die eigentliche Explosion gehört zu habe. Sie spürte nur, wie die Druckwelle durch ihr Haus ging und sah wie das Licht flackerte. Dann hörte sie Rostik schreien und sie bemerkte, dass er unter Trümmern feststeckte. 

Gips war auf seine Beine gefallen. „Ich warf den Lehm zur Seite und nahm meinen Sohn in die Arme ... Ich stürzte hinaus in den Flur und rief: 'Kira, Kira!'" 

Zum Glück war Kira unverletzt. Ihre Haustiere - vier Kätzchen und ein Meerschweinchen - haben ebenfalls überlebt. 

„Kira merkte erst, dass etwas passiert war, als sie meinen hysterischen Schrei hörte", erinnert sich Maryna. „Das Angstgefühl selbst kam wahrscheinlich erst zwei Tage später. Vor allem, als es dunkel wurde und die Sirene ertönte. Sie hat einfach gezittert." 

Die Familie verbrachte die Nacht inmitten der Trümmer, immer noch entsetzt über das, was geschehen war. Am nächsten Tag brachten Freunde und Freiwillige Essen und heißen Tee, besorgten ein mobiles Ladegerät, Material zum Abdecken der gesprengten Bereiche und Zelte. 

Maryna bleibt positiv, indem sie sich ihr zukünftiges, neu gestaltetes Zuhause vorstellt. Sie wünscht sich eine große Küche, lilafarbene Tapeten - die Lieblingsfarbe ihrer Tochter - und eine Couch im Wohnzimmer, auf der Gäste schlafen können. ̽»¨¾«Ñ¡ hilft Maryna bei der Beantragung einer finanziellen Entschädigung für die Schäden. 

Trotz der Herausforderungen, die noch bevorstehen, blickt Maryna hoffnungsvoll in die Zukunft. Obwohl ein Großteil ihres Hauses zerstört wurde, hat sie eine klare Vorstellung davon, wie es aussehen wird, wenn es wieder steht: „Alles wird schön sein", sagt Maryna, „auf eine neue Art und Weise". 

A few people working to repair a building
Serhii und mehrere Helfer*innen arbeiten am Wiederaufbau seines und Marynas Hauses, das durch einen Raketeneinschlag zerstört wurde.
Foto: Diana Zeyneb Alhindawi/̽»¨¾«Ñ¡

Wie hilft ̽»¨¾«Ñ¡?

̽»¨¾«Ñ¡ erweitert seine Hilfsmaßnahmen in der Ukraine, in Polen und in Moldawien, um den sich ändernden Bedürfnissen der vertriebenen Familien nachzukommen. Dies umfasst: 

Wir unterstützen ukrainische Geflüchtete in Rumänien, Ungarn, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Bulgarien sowie in Deutschland, Italien, Griechenland, den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich.