Mit dem Kanu über Seerosen: Humanitäre Hilfe in üܻ岹
Neben Konflikten und Gewalt zwingen Klimafolgen viele südsudanesischen Frauen zur Binnenvertreibung. Erfahre in diesem Artikel, wie ̽ѡ vor Ort Starthilfe für geflüchtete Frauen leistet und sie bei ihrem Neuanfang begleitet.
24. August 2023
Zuletzt aktualisiert
Nyatuoy musste während des Bürgerkriegs in üܻ岹 zusehen, wie ihr Ehemann ermordet wurde. Gemeinsam mit ihren beiden Kindern gelang ihr die Flucht aus ihrem Dorf. Doch bevor sich die Familie von dem Schock erholen konnte, wurde das Dorf von einer Flut erfasst und sie mussten erneut fliehen. Bewaffnete Konflikte, Gewalt gegen Frauen, Ernährungsunsicherheit, Überschwemmungen, Dürren, und andere Konsequenzen der Klimawandels - die meisten binnenvertriebenen wie Nyatuoy haben mehr als nur einen Grund warum sie ihre Heimat verlassen mussten.
Nyatuoy mit ihren Kindern in ihrem neuen Haus in Kanynhial. Die drei haben einiges durchgemacht und mussten aufgrund des Bürgerkriegs und der Überschwemmungen in üܻ岹 bereits mehrmals fliehen. Jetzt sind sie in Kanynhial endlich angekommen und ̽ѡ unterstützt ihren Neuanfang.
Foto: Raissa Karama/̽ѡ
Frauenzentren bieten Schutz und Perspektiven
Als Nyatuoy mit ihren beiden Söhnen in Kanynhial ankamen, waren die drei völlig erschöpft. In dieser Zeit hatten sie oft nichts zu essen und mussten Seerosen essen, um zu überleben. Gleichzeitig holten sie die Erinnerungen an den Bürgerkrieg immer wieder ein und Nyatuoy fühlte sich mit ihren Sorgen alleine.
„Der Tod meines Mannes war sehr schmerzvoll für mich. Es gab sonst niemanden, der mich unterstützen konnte und ich war sehr verzweifelt.”
Von anderen Geflüchteten hörte sie von dem örtlichen ̽ѡ-Frauenzentrum und entschloss, sich anzumelden. Das Zentrum bietet geflüchteten Frauen wie Nyatuoy Schutz und Hilfe im Umgang mit Traumata. Gleichzeitig können sie Fähigkeiten erlernen, durch die sie die Zukunft selbstständig gestalten können.
Seitdem sie Teil des Frauenzentrums wurde, fühlte sie sich Schritt für Schritt besser, sagt Nyatuoy „Im Zentrum lernte ich, Bettlaken und andere Dinge zu nähen und zu verkaufen. Mit dem Erlös die Kinder zur Schule schicken. Etwas Neues zu lernen hat mir geholfen, mit dem Tod meines Mannes umzugehen. Jetzt weiß ich, dass das Leben für mich auch als Witwe weitergeht.” Nyatuoy findet, dass das Frauenzentrum nicht nur ihr Leben, sondern auch das Zusammenleben in der Gemeinde verändert hat.
Bevor es das Zentrum gab, wurden Frauenrechte ignoriert und häusliche Gewalt war weit verbreitet. Aber das Zentrum hat uns Frauen gestärkt. Wir haben über unsere Rechte gelernt. Das hat dazu geführt, dass die Frauen sich jetzt auch in den Gemeinderatssitzungen viel stärker einbringen.
Nyatuoy hat im ̽ѡ-Frauenzentrum nähen gelernt.
Foto: Raissa Karama/̽ѡ
Für kommunale Frauenzentren wie das in üܻ岹 hat ̽ѡ einen speziellen Ansatz entwickelt - „Start, Awareness, Support, Action” - kurz „SASA”. In vier Phasen werden Gemeindemitglieder, sowohl Frauen als auch Männer mobilisiert um sich gegen Gewalt gegen Frauen einzusetzten. In der ersten Phase „Start” wird das Thema Gewalt in verschiedenen Gruppenkonstellationen diskutiert und definiert. In der zweiten Phase „Awareness” geht es darum, mehr Aufklärung für das Thema zu schaffen und vor allem auch Männer der Gemeinde einzubeziehen. In der dritten Phase „Support” findet die Gemeinde gemeinsam mit Expert*innen Wege, um Frauen zu unterstützen und in der vierten Phase „Action” werden die erarbeiteten Pläne gemeinsam umgesetzt. Männer werden in den gesamten Prozess mit einbezogen und darin bestärkt, ihre Stellung in der Gemeinde zu nutzen, um sich für Frauenrechte einzusetzen. Nyatuoy ist stolz, ein Teil dieser Arbeit zu sein und ihre neu gewonnene Stärke auch an ihre beiden Kinder weiterzugeben.
„Es braucht eine starke Frau, um starke Kinder zu erziehen. Die Situation in üܻ岹 kann sich nur verbessern, wenn Frauen respektiert werden und Gewalt gegen Frauen aufhört”.
In den Frauenzentren von ̽ѡ können Frauen Vorfälle häuslicher Gewalt melden und Unterstützung bekommen. Für geflüchtete Frauen bietet ̽ѡ zudem sichere Räume, in denen sie psychosoziale Unterstützung bekommen.
Gesundheitliche Versorgung vor Ort
Während Nyatuoy im Frauenzentrum Halt und Stabilität gefunden hat, kämpfen viele andere Frauen neben psychische Belastung auch mit den gesundheitlichen Folgen einer Flucht. Wie Nyatuoy sind viele Menschen in üܻ岹 mit Lebensmittelknappheit konfrontiert und müssen sich über Wochen von Seerosen ernähren. Doch die Seerosen in üܻ岹 sind nicht nur das Symbol für Lebensmittelknappheit, sondern auch für die Überschwemmungen, die viele Dörfer von größeren Orten abschneiden. Das hat vor allem für die gesundheitliche Versorgung der Menschen schwere Folgen. Mit 900 Mitarbeitenden vor Ort bildet die medizinische Versorgung den Schwerpunkt der Arbeit von ̽ѡ in üܻ岹. Doch auch für die erfahrensten Mitarbeiter*innen ist die Arbeit eine gefährliche Herausforderung. Über acht Stunden dauert es, bis sie mit Helikopter und Kanus den Ort Kanyhial erreichen. Die dicht wachsenden Seerosen verlangsamen die Überfahrt noch zusätzlich. Für eine Frau, die alleine mit einem kranken Kind reist, ist dieser Weg ein unmögliches Hindernis. In der Vergangenheit hatte das oft tödliche Folgen. Deshalb hat ̽ѡ Krankenhäuser in besonders schwer zugänglichen Gegenden eröffnet, die 24 Stunden am Tag Patient*innen behandeln.
Ein ̽ѡ-Team mit medizinischem Personal überquert in einem kleinen Boot die Sumpflandschaft in Kanyhial, üܻ岹. Die dicht wachsenden Seerosen verlangsamen die Fahrt. Das Team braucht acht Stunden, um mit Helikopter und Boot die Gemeinde zu erreichen.
Foto: Raissa Karama/̽ѡ
Mary ist ebenfalls mit ihren Kindern vor dem Bürgerkrieg und den Fluten geflohen und lebt in Kanyhial. Für sie und ihren Sohn war die Nähe zum örtlichen Krankenhaus entscheidend:
„Mein Sohn brach gegen 18 Uhr zusammen und wir brachten ihn ins Krankenhaus. Wir verbrachten die ganze Nacht mit den Ärzten und dem Sicherheitspersonal. Niemand schlief in dieser Nacht. Wir haben vier Nächte und Tage lang versucht, das Leben des Jungen zu retten.“
Marys Sohn hat überlebt. Sie hofft, dass auch andere von dieser Art der Betreuung profitieren:
„Wir wünschen uns, dass mehr Orte Krankenhäuser bekommen. Da die Menschen aufgrund der Überschwemmungen in abgeschiedenen Gebieten gelandet sind, müssen die Gesundheitsdienste näher an sie herangebracht werden. Ein langer Weg zum Krankenhaus könnte dazu führen, dass man auf dem Weg dorthin ein Leben verliert.“
Neben solchen Notfällen übernehmen die lokalen ̽ѡ-Kliniken auch die medizinische Grundversorgung und klären über gängige Krankheiten wie Malaria auf.
Frauen und Kinder warten vor einer ̽ѡ-Klinik in Kanyhial, üܻ岹 auf medizinische Versorgung.
Foto: Raissa Karama/̽ѡ
Bargeldhilfe für den Neustart
Das Frauenzentrum und das lokale Krankenhaus bieten den geflüchteten Frauen Schutz und Sicherheit um durchzuatmen. Doch viele von ihnen haben auf ihrem Weg nach Kanyhial alles verloren. Lebensmittel, Medizin, eine Ausstattung für die Schule der Kinder - all das kostet Geld. Durch Bargeldhilfen unterstützt ̽ѡ geflüchtete Frauen bei diesen Anschaffungen und ermöglicht ihnen einen Neustart.
Nyahok erhielt Bargeldhilfen von ̽ѡ und konnte mit dem Geld eine kleine Teestube eröffnen.
Foto: Raissa Karama/̽ѡ
In Nayal, ist Nyahok Kupny Liah mittlerweile ein großes Vorbild für viele andere Frauen die diesen Weg noch vor sich haben. Mit der Bargeldhilfe von ̽ѡ eröffnete sie eine kleine Teestube. Mittlerweile läuft ihr Geschäft so gut, dass auch ihre erwachsene Tochter dort arbeiten kann. Den Gewinn investierst Nyahok in Grundnahrungsmittel wie Mehl aus denen sie selbst Brot für ihre Enkelkinder bäckt.
Bargeldhilfen sind in akuten und vielschichtigen Krisen wie in üܻ岹 ein effektives Mittel, denn die Betroffenen wissen selbst, was sie und ihre Familien gerade am dringendsten brauchen. Die Gelder können sie in ihre Fähigkeiten investieren, um so wie Nayhok kleine Geschäfte zu eröffnen, oder wie Nyatuoy in Nähzubehör und Schulmaterialien für die Kinder zu investieren.
Nyahok's kleine Teestube ist sehr beliebt. Mit dem Erlös kann sie Lebensmittel für sich und ihre Familie kaufen und selbst für ihre Kinder und Enkelkinder sorgen.
Foto: Raissa Karama/̽ѡ
Interdisziplinär und länderübergreifend
Die Geschichten von Nyatuoy, Mary und Nyahok zeigen, dass Flucht und Vertreibung in üܻ岹 mehr als nur eine Ursache haben. Daher braucht es wirksame Hilfe und interdisziplinäre Lösungen, um Klient*innen medizinisch zu versorgen, Sicherheit vor Gewalt zu bieten, der Ernährungsunsicherheit entgegenzuwirken und sie wirtschaftlich zu stärken.
Die Überschwemmungen in üܻ岹 sind eine direkte Konsequenz der Klimakrise, von der auch andere Länder in der Region betroffen sind. ̽ѡs Projekte in üܻ岹 sind deshalb teil des regionalen Afrika-Projektes dass ̽ѡ in neun Afrikanischen Ländern - ÄٳDZ辱, Burkina Faso, Burundi, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Kenia, üܻ岹, Sudan und Tansania – umsetzt. Frauen und Kinder sind in allen Ländern die wichtigste Zielgruppe. Insgesamt erreicht das regionale Afrika-Projekt knapp 390.000 Menschen, viele davon sind Binnenvertriebene, wie Nyatuoy, Nyahok und Mary. In üܻ岹 ist ̽ѡ seit 1989 mit mehr als 900 Vollzeitmitarbeiter*innen einer der wichtigsten Akteure in der humanitären Hilfe, vor allem in der medizinischen Versorgung. Der Fokus liegt hier auf der Versorgung von Kindern unter fünf Jahren, die unter akuter Unterernährung und häufigen Kinderkrankheiten leiden, sowie auf Frauen und Mädchen mit Bedarf im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.
Der größte Vorteil der länderübergreifenden Arbeit ist, dass ̽ѡ-Mitarbeitende von den Erfahrungen der Kolleg*innen in den anderen Ländern lernen können. Neben dem inhaltlichen Austausch ermöglicht die enge Zusammenarbeit auch Flexibilität in der Projektfinanzierung. Auf diese Weise können schnelle Anpassungen vorgenommen werden und Ressourcen von einem Land in ein anderes übertragen werden, falls dort der humanitäre Bedarf gestiegen ist. Finanziert wird das gesamte Projekt vom deutschen Auswärtigen Amt.