Farah* aus Syrien musste mit ihren vier Kindern vor dem Konflikt aus ihrer Heimatstadt in Nordsyrien fliehen. Die traumatischen Erlebnisse der Flucht belasten ihre Kinder bis heute gesundheitlich. Dank der Unterstützung von ̽ѡ-Mitarbeiter Walid* findet die Familie Schritt für Schritt zurück in den Alltag und beginnt, die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.
In ihrer Küche, die schlicht und gleichzeitig liebevoll eingerichtet ist, zeigt Farah ihr handwerkliches Geschick. Die silberne Tapete mit dem goldenen Blumenmuster hat sie selbst angebracht. Sie hat gelernt, alleine zurechtzukommen und wird oft von ihren Nachbar*innen um Hilfe gebeten, wenn etwas repariert werden muss. Farah findet fast immer eine Lösung.
Auf der Küchenzeile stehen ordentlich aufgereiht Gläser mit syrischen Spezialitäten wie gerolltem Labaneh (Frischkäse), gefüllten Weinblättern und eingelegtem Gemüse. Mittlerweile ist der Verkauf von hausgemachten Delikatessen zu einer kleinen, aber wichtigen Einnahmequelle für Farahs Familie geworden. Sie kocht gerne mit ihren Kindern und ist in der Nachbarschaft bekannt für ihr „Kabsa“, ein traditionelles Gericht mit Huhn und Reis.
Auf der Flucht
Vor einigen Jahren lebte Farah mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der syrischen Provinz Deir ez-Zor. Als ihr Mann bei einem Angriff schwer verletzt wurde, dachte er nur an die Sicherheit seiner Familie. Er überredete Farah, mit den Kindern zu fliehen. Kurz darauf starb er - ohne sich von seiner Familie verabschieden zu können.
Für Farah begann eine schwierige Zeit: Hochschwanger war sie allein für drei kleine Kinder verantwortlich, während das Essen knapp wurde und die Kampfhandlungen jeden Tag näher rückten.
„Die Lebensmittelversorgung wurde unterbrochen. Uns bedrohten Bomben und Hunger”, erinnert sich Farah. „In dieser Zeit habe ich Fadi* zur Welt gebracht. Einen Monat später hatte ich keine Milch mehr. Jeden Tag hatte ich Angst, ihn zu verlieren.“ Morgens wachte Farah panisch auf, um zu sehen, ob ihr Baby die Nacht überlebt hatte. Manchmal kletterte sie sogar auf Palmen, um Datteln zu pflücken - of die einzige Hoffnung, ihre Kinder vor dem Verhungern zu bewahren.
Mit letzter Kraft schafften sie es in die Stadt wo Farahs Mutter lebte. Doch Fadi, der an schwerer Unterernährung litt, musste sofort ins Krankenhaus. Die Folgen der Mangelernährung waren jedoch gravierend: Krampfanfälle traten auf und seine Augen waren dauerhaft Գٰäپ.
Hilfe von ̽ѡ
In Raqqa fühlte sich Farah zunächst völlig allein mit den Sorgen um ihre Kinder und der Trauer um ihren Mann. In ihrer Not wandte sie sich an ̽ѡ. Kurz darauf bekam Farah das erste Mal Besuch von Walid, einem ̽ѡ-Mitarbeiter, der mit seiner herzlichen und lustigen Art sofort das Vertrauen der Kinder gewann.
Drei Jahre später besucht Walid die Familie immer noch wöchentlich. Sobald seine Stimme über den Hof schallt, stürmen die Kinder zur Tür. „Na, Inas*, was hast du letzte Woche gezeichnet?“, fragt er Farahs älteste Tochter und lässt sich alle ihre neuen Bilder zeigen.
Walid bringt den Kindern Spiele und Schulsachen mit, darunter das Zeichenbuch für Inas und nimmt sich Zeit, mit den Kindern über ihre Sorgen zu sprechen. Besonders die kleine Rana, die durch die Flucht viele Ängste entwickelt hat, blüht in seiner Gegenwart auf. Wenn sie bedrückt ist, bittet sie ihre Mutter sogar manchmal, Walid anzurufen, weil sie sich bei ihm sicher fühlt.
Farah ist dankbar, dass es noch einen Erwachsenen im Leben ihrer Kinder gibt, auf den sie sich verlassen können: „Wenn Walid zu Besuch kommt, sind die Kinder immer glücklich. Sie haben jemanden, mit dem sie reden und bei dem sie sich beschweren können, jemand der sie versteht. Wenn sie eine Weile mit ihm spielen, lachen sie und ihre Stimmung ändert sich“, erzählt Farah.
Durch die regelmäßigen Besuche verbesserten sich mit der Zeit auch die psychischen Beschwerden der Kinder. Panikattacken, Bettnässen und Schlaflosigkeit traten immer seltener auf. Walid half ihnen auch, wieder zur Schule zu gehen, wo sie mittlerweile viele Freund*innen haben.
Eine Operation für Fadi
Walid meldete die Familie auch für das Bargeldhilfeprogramm von ̽ѡ an. Mit einer Bargeldhilfe von 250 Dollar konnte Farah mit Fadi nach Damaskus reisen und ihm eine Augenoperation ermöglichen. Seitdem schielt er kaum noch und muss nur noch wenige Stunden am Tag ein Pflaster auf dem Auge tragen. Die Chancen stehen gut, dass er nach der Operation wieder ganz gesund wird.
Bei Ausflügen ins ̽ѡ-Familienzentrum spielt Farah ausgelassen mit den Kindern. Wenn sie oder die Kinder medizinische Hilfe brauchen, können sie sich an die kostenlosen Gesundheitszentren von ̽ѡ wenden.
Gesträkt in die Zukunft
Mit Walids Unterstützung wurde Farah in ein Existenzgründungsprogramm aufgenommen, das ihr ermöglicht, selbstgemachte Delikatessen zu verkaufen und so ihre Familie zu versorgen. „Ich bin die Alleinverdienerin und muss hart arbeiten, um meine Kinder zu ernähren“, sagt Farah.
Farah träumt davon, in Zukunft anderen Müttern in Krisensituationen zu helfen.
Wenn man Kinder hat und für eine Familie verantwortlich ist, darf man nicht aufgeben. Man muss stolz auf sich sein für alles, was man durchgestanden hat, auf seine Fähigkeiten vertrauen und nie die Hoffnung verlieren.
Kürzlich hat Farah begonnen, Elterngruppen bei ̽ѡ mitzugestalten, um das, was sie gelernt hat, an andere Mütter weiterzugeben. Bei den Treffen geht es um Kinderrechte, Kinderheirat, Schutz und den Umgang mit traumatischen Erlebnissen. Farah wünscht sich, dass möglichst viele Familien wie sie von ̽ѡ-Angeboten profitieren.
„Ich bin Walid sehr dankbar für den Einfluss, den er auf mich und meine Kinder hatte. Wenn ich meine Kinder heute sehe, ist das unbeschreiblich. Gott sei Dank gibt es einen großen Unterschied zwischen dem Leben jetzt und früher. Vor allem, wenn man bedenkt, wie sehr wir während des Krieges gelitten haben. Das Leben meiner Kinder ist auf jeden Fall besser geworden. Ich hoffe, dass auch andere davon profitieren werden, so wie ich es getan habe.”
Heute gehören Farahs Kinder zu den Klassenbesten und gehen wieder gerne zur Schule. Marwan* (12) träumt davon, eines Tages in Deutschland zu studieren, wo eine von Farahs Schwestern lebt.
Doch Farah weiß auch, dass die Erinnerungen an den Konflikt nie ganz verblassen werden: „Meine Kinder erinnern sich an alles, was wir durchgemacht haben. Sie sagen immer zu mir: ‚Mama, Gott sei Dank haben wir jetzt etwas zu essen.‘ Sie sind wie andere Kinder, aber sie verstehen, wo wir waren und wie weit wir gekommen sind. Dafür sind sie dankbar und glücklich. Ich hoffe, dass sie eines Tages studieren und selbst anderen helfen können.”
Farah ist stolz auf all die Fortschritte ihrer Kinder, die inzwischen offen auf andere Menschen zugehen und sich in ihrem neuen Leben wohlfühlen. Vor allem aber ist sie stolz auf sich selbst, auf ihre Unabhängigkeit und das Zuhause, das sie für ihre kleine Familie geschaffen hat.
Über das Programm
Die vielschichtige Unterstützung, die Farahs Familie von ̽ѡ erhalten hat, ist Teil des Projekts „Kritische multisektorale humanitäre Hilfe für konfliktbetroffene Haushalte in Nordsyrien“, das ̽ѡ gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt durchführt. Eine wichtige Komponente des Projekts ist humanitäre Bargeldhilfe für besonders vulnerable Klient*innen, die sie für lebensnotwendige Anschaffungen, Schutz vor Gewalt oder - wie im Fall von Fadi - für gesundheitliche Eingriffe nutzen können.
Im Rahmen des Kinderschutzprogramms bietet ̽ѡ strukturierte psychosoziale Unterstützung für Kinder im Alter von 6 bis 11 Jahren und für Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren an. Darüber hinaus führt ̽ѡ auch Elternkurse durch, die auf dem Programm Families Make the Difference (FMD) basieren. Neben den Kursen hinaus unterstützt ̽ѡ Elterngruppen, deren Mitglieder Aufklärungsveranstaltungen über positive Elternschaft und Kinderrechte organisieren und so zu einem sichereren und entwicklungsfördernden Umfeld in ihren Gemeinden beitragen.
Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt (GFFO) finanziert.
*Namen aus Datenschutzgründen geändert