Christine Shevchenko, eine Soloballerina des American Ballet Theatre, zog im Alter von 6 Jahren nach Philadelphia in den Vereinigten Staaten.
Nachdem sie in ihrer Heimat in der Ukraine als Turnerin aktiv war und Ballett studiert hatte, schrieb sie sich in der Rock School des Pennsylvania Ballett ein und tanzte schon bald die Hauptrolle in Der Nussknacker. Shevchenko trat dem American Ballet Theatre 2007 als Schülerin bei, 2008 dem Corps de Ballett, wurde 2014 Solistin und 2017 Solotänzerin. Ihr umfangreiches Repertoire mit der Kompanie umfasst die Hauptrolle in Feuervogel, Odette/Odile in Schwanensee und die Dryaden-Königin in Don Quijote.
̽ѡ (̽ѡ) sprach mit ihr über ihr Leben, ihre Arbeit und ihren Einsatz für Geflüchtete und andere, die ihre Heimat verlassen mussten.
Können Sie uns etwas über Ihre Familie erzählen? Wie war es, in der Ukraine aufzuwachsen?
Ich wurde in Odessa geboren. In meiner Familie begeistern wir uns alle für Kunst und Sport. Mein Vater war ein bekannter Turner, sein Vater war ein Sprinter. In der Familie meiner Mutter waren viele Musiker*innen, Schauspieler*innen und Sänger*innen.
Als ich vier Jahre alt war, meldete mich mein Vater in der Schule für rhythmische Sportgymnastik an - im Grunde trainierten sie Gymnastinnen für die Olympischen Spiele. Es war intensiv. Ich erinnere mich an traurige Kinder, die jeden Tag weinten, weil sie alle anspornten und sie sehr hart arbeiteten. Aber hier habe ich Disziplin und harte Arbeit gelernt. Dieses Training hat mich für den Rest meines Lebens geprägt und mich gelehrt, ein starker Mensch zu sein und hart zu arbeiten. Und dass man niemals aufgeben darf.
Dazu kam der Ballettunterricht, der täglich eine Stunde lang Pflicht war. Ich habe es nicht wirklich geliebt, bis meine Mutter mich zu einer Aufführung von Dornröschen mitnahm, als ich gerade 4 Jahre alt war. Wir standen während der gesamten dreistündigen Aufführung hinter der Bühne. Ich war wie hypnotisiert und vertieft in die Schönheit der Kostüme, die Kulissen und die Musik. Ich wollte einfach ein Teil dieser Welt sein.
Sie und Ihre Familie waren gezwungen, in die Vereinigten Staaten zu ziehen. Was wissen Sie noch über diese Zeit?
Es war der Zusammenbruch der Sowjetunion. Ich erinnere mich nur daran, dass die Ukraine sehr unruhig war, die Leute machten irgendwie, was sie wollten. Meine Mutter hatte Angst, und ich erinnere mich, dass sie nicht wollte, dass ich in dieser Umgebung aufwachse.
Wir beschlossen, nach Amerika zu ziehen, weil mein Großvater 10 Jahre zuvor dort war.
Ich erinnere mich, wie wir alle unsere Sachen in sehr große Seesäcke packten. Ich erinnere mich an eine sehr lange Zugfahrt, weil wir von Moskau aus fliegen mussten. Und dann kamen wir am Flughafen an, und mussten lange warten. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor, bis wir im Flugzeug saßen.
Aber ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht wirklich, was ich denken sollte, oder wohin wir gehen, oder wie es sein würde.... Erst als wir in Amerika ankamen, wurde mir klar, dass wir ein ganz neues Leben beginnen und dass unser bisheriges Leben vorbei war.
Da warst du also gerade mal 6 Jahre alt und hast, wie du sagst, ein völlig neues Leben begonnen.
Am Anfang hatte ich nicht viel Kontakt zu Kindern oder anderen Menschen, bis wir uns eingelebt und herausgefunden haben, wo ich zur Schule gehen würde und all solche Sachen. Ich konnte natürlich kein einziges Wort Englisch. Ich musste alles nachholen, also fühlte ich mich definitiv wie eine Außenseiterin.
Kunst und Tanz halfen mir, damit zurechtzukommen ... es lenkte mich ab. Am Ende des Schultages hatte ich etwas anderes zu tun, das mir vertraut war ... etwas, das ich wirklich liebte. Das lenkte mich von allem anderen ab.
Wie haben sich diese früheren Erfahrungen auf Ihre Karriere als Tänzerin ausgewirkt?
Ein*e Künstler*in zu sein, auf die Bühne zu gehen, braucht eine Menge Mut. Jedes Mal, wenn man vor Leute tritt, setzt man sich ihrer Meinung aus. Man muss den Mut haben, zu scheitern. Es gab viele Momente, in denen ich nicht die bestmögliche Performance abgeliefert habe oder mich nicht gut dabei gefühlt habe. Aber man muss den Mut haben, zurückzugehen, es wieder zu tun und es besser zu machen.
Ich glaube wirklich, dass Kunst die Menschen verbindet. Sie bringt uns aus unseren alltäglichen Leben und in diese wunderbare Welt, in der man tief in seine eigenen Emotionen eintauchen kann. Am Auftritt mag ich es am liebsten, die Reaktionen in den Gesichtern der Leute zu sehen. Ich gebe gerne... wenn ich Menschen glücklich mache, macht mich das auch glücklich.
Was raten Sie jungen Künstler*innen mit Fluchthintergrund oder anderen jungen Menschen, die mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben?
Ich würde sagen, wenn man eine Leidenschaft hat, wenn man ein Ziel hat ... wenn man sich anstrengt, egal, ob es klappt oder man scheitert ... wenn man es immer wieder versucht, kann man am Ende des Tages seine Ziele und Träume erreichen.
Sie sind ein Teil der ̽ѡ-Familie geworden und arbeiten mit jungen Geflüchteten und Immigrant*innen.
Ich war auf der Suche nach einer Hilfsorganisation und versuchte herauszufinden, welche am besten zu mir passt. Und als ich von ̽ѡ hörte, dachte ich - für mich als Geflüchtete - könnte es nicht perfekter sein.
Meine Heimat zu verlassen und der Neuanfang waren eine beängstigende Zeit für mich. Aber jetzt darf ich mit Kindern sprechen, die heute Geflüchtete sind. Es inspiriert und erfüllt mich, mehr über ihre Leben zu erfahren, woher sie kommen und was sie in der Zukunft machen wollen.
Ich lebe in New York City, wo es viele Immigrant*innen und Geflüchtete gibt. Es gibt so viel zu lernen über so viele verschiedene Menschen, die von überall her kommen, kreative, kluge Köpfe - sie bringen etwas Besonderes aus einem anderen Land mit, und helfen hier bessere und größere Dinge zu gestalten.
Ich möchte allen Geflüchteten und Immigrant*innen sagen: Ein neues Leben zu beginnen, mag beängstigend erscheinen, es mag hart erscheinen, und es ist vielleicht nichts, was man tun möchte. Aber es könnte eine Chance sein, alles zu erreichen, was man will. Es könnte der verrückteste, größte Traum der Welt sein, aber wenn sie den Mut und die Tapferkeit haben, ihn zu verfolgen, wenn sie sich anstrengen, ist alles möglich.
Geflüchtete Künstler*innen unterstützen
Zum diesjährigen ±ٴڱüٱԲٲ ist ̽ѡ stolz, mutige Künstler wie Christine zu ehren, die ihre Kreativität nutzen, um Brücken zu bauen und uns zusammenzubringen. Durch ihre Malerei, ihren Tanz, und ihren Gesang öffnen diese Künstler eine Tür in ihre Welt und zeigen uns, wer sie jenseits des Etiketts "Geflüchtete" sind. Sie inspirieren uns und formen Verbindungen zum Besseren.
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