Mohammad, Hasina und ihre vier kleinen Kinder verließen Syrien 2016 um 3:30 Uhr. Sie versteckten sich in der unteren Ebene eines Lastwagens und konnten die Geräusche von Schafen hören, die über ihnen blökten.

„Wir hatten große Angst. Jederzeit hätte uns der IS erwischen können“, erklärte Mohammad. „Dann hätten sie den Fahrer angegriffen, das Auto gestohlen. Viele Menschen wurden beim Versuch, aus Syrien zu fliehen, getötet.“

Mohammad und Hasinas jüngstes Kind, Rayan, war gerade 45 Tage alt, als ihre Eltern gezwungen wurden, in einem Lastwagen nach zu fliehen. Ihre drei anderen Kinder – Ali, Reem und Hiba –  waren damals alle jünger als sieben Jahre. „Meine Kinder waren zu klein, um zu verstehen, was vor sich ging. Wir flohen vor dem Tod, aber das haben wir nicht erklärt. Wir sind einfach nur umgezogen“, sagt Mohammad.

In einem Flüchtlingslager wird ein kleiner Junge von seinem großen Bruder beim Schaukeln angeschubst.
Der neunjährige Ali spielt mit seinem jüngeren Bruder auf der provisorischen Schaukel vor seinem Haus im Lager.
Foto: AJarery/̽»¨¾«Ñ¡

Als die Familie in Jordanien ankam, musste sie an der Grenze in Rukban bleiben, einem inoffziellen Lager mit begrenztem Zugang zu Dienstleistungen. „Rukban war als würde man sterben“, sagt Hasina.

Die Familie zog von Rukban in das Lager Azraq, eine Autostunde von Amman entfernt. Kilometerlange Wüste umgeben Azraq, wo Tausende von Metallcontainern mit spitzen Dächern aneinander gereiht stehen. Jeder Container beherbergt Familien wie die von Mohammad. Vielen von ihnen leben seit Jahren hier, immer in der Ungewissheit, was ihre Zukunft bereithält.

Ein Mädchen sitzt barfuß auf einer Art Sofa
Das Leben im vom Krieg zerrütteten Syrien hatte enorme Auswirkungen auf Reem und sie isolierte sich lange Zeit, bevor sie Unterstützung erhielt.
Foto: AJarery/̽»¨¾«Ñ¡

Hier im Lager traten auch die psychischen Auswirkungen des Lebens im vom Krieg zerrütteten Syrien hervor. „Eines Tages im Lager hier in Jordanien überflogen uns Militärflugzeuge am Himmel. Reem hatte Angst. Von da an wollte sie mit niemandem mehr reden, sie wollte alleine essen, mit ihrem Spielzeug alleine spielen und allein sein.“

Im Flüchtlingslager Azraq betreibt ̽»¨¾«Ñ¡ das Entwicklungsprogramm „Ahlan Simsim“ für Kleinkinder, das Teil einer größeren Partnerschaft mit Sesame Workshop ist, der gemeinnützigen Organisation hinter der Sesamstraße. Der Name bedeutet „Willkommen Sesam“ auf Arabisch.

Das Programm hilft Kindern, sich von Traumata zu erholen und mit Stress umzugehen. Spielen ist dabei ein wichtiger Teil in der Erholung, und für die Kinder von Hasina und Mohammad war es von entscheidender Bedeutung. „Spielen ist wie Medizin für meine Kinder. Den meisten Kindern macht es Spaß zu spielen – aber für meine Kinder ist es ein Bedürfnis.“

Ein Mann liest vielen Kindern etwas vor
Wöchentliche Ahlan Simsim-Sitzungen im Azraq-Flüchtlingslager geben den Kindern die Möglichkeit, wieder Kinder zu sein - mit Hilfe der bekannten Sesamstraßen-Charaktere.
Foto: AJarery/̽»¨¾«Ñ¡

Reem, Hiba und Rayan hat Ahlan Simsim geholfen. „Am Anfang waren sie schüchtern und wollten mit niemandem reden“, erklärt Radia, eine Freiwillige im Zentrum. „Reem stellte ihren Stuhl neben die Tür und wartete dort allein. Es dauerte einen Monat, aber dann begann sie mit anderen Kindern zu interagieren.“

Heute klatschen sie zu Liedern, rufen Antworten auf Fragen der Lehrkräfte und spielen mit anderen Kindern.

„Als Reem aus dem Zentrum zurückkam, fing sie an zu erzählen: ‚Hey Mama, ich habe eine neue Freundin‘“, sagt Hasina. Reem, die jetzt sechs Jahre alt ist, besucht mittlerweile die Grundschule im Lager. Hiba, fünf Jahre, und Rayan, drei Jahre, gehen regelmäßig zu den Treffen.

Ein fünfjähriges Mädchen mit Hirntumor sitzt auf einer Schaukel und lacht
Die fünfjährige Hiba ist trotz ihrer Schwierigkeiten voller Energie und lacht viel. Bei ihr wurde vor zwei Jahren ein Hirntumor diagnostiziert.
Foto: AJarery/̽»¨¾«Ñ¡

Hiba strahlt vor Selbstvertrauen und Freude, bricht in Gekicher aus und freut sich, als sie auf der provisorischen Schaukel draußen angeschubst wird. Wenn man sie trifft, hat man keine Ahnung, was sie durchgemacht hat. „Vor zwei Jahren fanden wir heraus, dass Hiba einen Hirntumor hat. Sie kann 24 Stunden lang ununterbrochen schlafen, ihre Periode hat extrem früh eingesetzt, sie hat Probleme mit Sonnenlicht und hat häufig Nasenbluten. Es gibt keine Behandlungen für sie im Lager, ihr Fall wurde weitergeleitet, aber es braucht Zeit. Es dauerte ein Jahr und elf Monate, bis der Scan durchgeführt wurde.“

Die verheerende Realität von Hiba's Zustand liegt wie ein Schatten über der ganzen Familie, die weiter darum kämpft, eine Behandlung für sie zu bekommen. Mohammad versucht verzweifelt, über die Runden zu kommen, aber es ist unglaublich schwierig. „Ich musste alles verkaufen, was ich besaß. Wir haben unser ganzes Geld ausgegeben, um hierher zu kommen und uns zu ernähren. Wir müssen uns jetzt Geld leihen und wir haben Schulden von über 3.940 €. Ich stecke in diesem Lager fest und kann keine Arbeit finden.“

Das Bild zeit einen syrischen Flüchtling beim Spiegeln mit Kindern
Mohammad war seit seiner Flucht aus Syrien aufgrund der Krankheit seiner Tochter nicht mehr arbeitsfähig - aber er tut alles dafür Familie zu unterstützen.
Foto: AJarery/̽»¨¾«Ñ¡

„Vielleicht wird es einige Zeit dauern, aber wir hoffen, dass wir nach Syrien zurückkehren, ein neues Leben in unserem Haus beginnen und ein Unternehmen gründen können“, sagt Mohammad.

Aber im Moment konzentriert er sich darauf, seine Kinder positiv zu stimmen. Der Besuch des Zentrums ist ein wichtiger Teil ihres Lebens im Lager: „Ahlan Simsim ist wie ein Arzt für meine Kinder.“

̽»¨¾«Ñ¡ in Jordanien

̽»¨¾«Ñ¡ ist seit 2007 in Jordanien tätig und unterstützt Flüchtlinge und die Aufnahmegemeinde.