Berlin, 8. September 2023 — David Miliband, ̽»¨¾«Ñ¡-Präsident und CEO, sagt:
„Europa steht seit langem im Mittelpunkt der Geopolitik. Doch der Ukrainekrieg hat den Kontinent nun auch zu einem wichtigen Ort für humanitäre Programme und einem Aushängeschild für das neue Zeitalter der Straflosigkeit gemacht, das die globale Ordnung so sehr gefährdet. ̽»¨¾«Ñ¡-Teams sind weltweit im Einsatz – von Charkiw über Dnipro und Cherson bis Odessa und unterstützen ukrainische Geflüchtete auch in Polen, Moldawien, Deutschland, Großbritannien und weiteren Ländern.
Bei meinem Besuch in Polen und der Ukraine hatte ich diese Woche Gelegenheit, ̽»¨¾«Ñ¡-Mitarbeitende, Klient*innen, Partnerorganisationen und Vertreter*innen von Geberregierungen zu treffen. Der Schmerz und die Zerstörung, die dieser Krieg hinterlassen hat, waren unübersehbar, doch genauso auch die Stärke, die ich spüren konnte: Die Resilienz und der Mut unserer Klient*innen sowie die Kompetenz, Professionalität und der Einsatz von ̽»¨¾«Ñ¡-Mitarbeitenden und unseren Partnerorganisationen. Sie finden sogar unter den schwierigsten Umständen Lösungen.
Bei meinem Besuch hatte ich eine klare Botschaft: Je länger dieser Konflikt andauert, desto höher die Gefahr, dass sich die internationale Gemeinschaft daran gewöhnt, und Menschen anfangen, etwas zu normalisieren, das eigentlich nicht normal ist. Die Bombardierung von Marktplätzen und ziviler Infrastruktur sollte niemals als normal angesehen werden. Es sollte auch nicht dazu kommen, dass 12 Millionen Zivilist*innen, Geflüchtete und Binnenvertriebene ihre Häuser aus Angst um ihr Leben verlassen müssen.
Allein die Zerstörung des Kachowka-Staudamms hat Tausende von Menschen in Mitleidenschaft gezogen und für schwerwiegende, langfristige Auswirkungen auf die Umwelt und die Wirtschaft des ganzen Landes gesorgt. Bei meinem Besuch erfuhr ich, wie das Hochwasser Landminen mit sich riss, deren Einsatz fast überall verboten ist, und so weite Teile des Landes potenziell verseucht wurden.
Die UN hat vor Kurzem bestätigt, dass seit Beginn der russischen Invasion fast 10.000 Zivilist*innen in der Ukraine ums Leben gekommen sind. Die tatsächliche Zahl ist schätzungsweise noch viel höher. Und die Zahl der Menschen, deren Leben von heute auf morgen aus den Fugen geraten ist und für immer verändert wurde, geht in die zweistellige Millionenhöhe.
Vor diesem Hintergrund ist die humanitäre Not in der Ukraine riesig und wächst noch weiter. 18 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe. Ich habe aus erster Hand den Mut unserer Teams und Partnerorganisationen miterlebt, die in den am stärksten vom Konflikt betroffenen Regionen im Osten und Süden der Ukraine arbeiten. Unsere 230 Mitarbeitende haben dort oftmals selbst Schwierigkeiten, ihre eigenen Erfahrungen von Vertreibung zu verarbeiten. Der nächste Winter wird mit ziemlicher Sicherheit verstärkte russischen Raketen- und Luftangriffe auf wichtige Infrastruktur in der Ukraine mit sich bringen, was zu weiteren Vertreibungen führen kann. Obwohl der Bedarf nicht nachlässt, sind die finanziellen Mittel für humanitäre Hilfe in der Ukraine nur halb so hoch wie im letzten Jahr.
In Polen leben eine Million Geflüchtete ohne Aussicht darauf, wie es weitergeht. Sie wissen nicht, ob und wann sie in ihre Heimat zurückkehren können. Ich hatte das Privileg, das Integrationszentrum von ̽»¨¾«Ñ¡ in Kattowitz zu besuchen, wo Mitarbeitende von ̽»¨¾«Ñ¡ und Partnerorganisationen Geflüchtete dabei unterstützen, in ihren neuen Gemeinschaften Chancen und ein Gefühl der Stabilität zu finden. Die Ankunft von Geflüchteten mitsamt aller ihrer humanitären Bedarfe wird nicht aufhören, insbesondere inmitten eines langanhaltenden Konflikts. Eine aktuelle Umfrage von ̽»¨¾«Ñ¡ zeigt, wie tief die Krise wirklich greift: Mindestens 30 Prozent der erwachsenen Ukrainer*innen in Polen und fast die Hälfte der Kinder müssen in ihrem Alltag mit den Auswirkungen von Traumata umgehen. Ein 15-jähriger Jugendlicher erzählte unserem Team: ‚Mir ist klar, dass ich jederzeit sterben kann.‘ ̽»¨¾«Ñ¡ fordert die internationale Gemeinschaft auf, die humanitäre Hilfe in der Ukraine und in den angrenzenden Aufnahmeländern aufrechtzuerhalten, einschließlich der Verlängerung der EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz bis ins Jahr 2025. Gleichzeitig darf das Zweiklassensystem bei der Reaktion auf die Bedarfe von Geflüchteten nicht zur Norm werden. Die besorgniserregende Situation an der belarussischen Grenze ist ein klarer Weckruf: Alle Geflüchteten müssen den gleichen Zugang zu Hilfe, Schutz und der Wahrung ihrer Rechte haben.
Über die Ukraine und ihre Nachbarstaaten hinaus fallen die humanitären Folgen der Krise weltweit enorm aus. Die Ernährungssicherheit wurde in diesem Krieg immer wieder strategisch eingesetzt: Vom Angriff auf die ukrainische Getreideinfrastruktur zu Beginn dieser Woche bis zur Beendigung des Schwarzmeer-Getreideabkommens in diesem Sommer – Entscheidungen, die die 350 Millionen Menschen, die derzeit von Nahrungsknappheit betroffen sind, am schmerzlichsten spüren. Ohne das Getreideabkommen ist es umso dringender, dass die humanitären Hilfspläne der UN, die für die von Hungersnot bedrohten Länder vorgesehen sind, vollständig finanziert werden. Globale Bemühungen müssen durch eine verstärkte hochrangige Task Force zur Verhinderung von Hungersnöten (UN-High-Level Task Force on Famine) koordiniert werden.
̽»¨¾«Ñ¡ hat schon zu oft erlebt, wie leicht langwierige Konflikte, ob in Syrien oder Afghanistan, die Aufmerksamkeit und das öffentliche Interesse verlieren – Geflüchtete und Millionen Menschen, die weltweit von Krisen betroffen sind, haben dafür bereits einen zu hohen Preis gezahlt. Die zentrale Sorge – und ein Szenario, vor dem ̽»¨¾«Ñ¡ eindringlich warnt – ist, dass dieser Krieg, die daraus resultierende humanitäre Krise und die Straflosigkeit normalisiert werden. Wenn die internationale Gemeinschaft zulässt, dass all das zur Normalität wird, ist das nicht nur ein Affront gegen die Millionen Menschen, deren Leben durch den Krieg zerstört wurde und dies auch weiterhin wird, sondern außerdem gegen die geregelte internationale Ordnung und die Zukunft von globalem Frieden und Sicherheit.“