Die israelische Militäroperation in Rafah zieht sich in die vierte Woche. Seit Beginn der Offensive am 6. Mai wurden bereits eine Million Menschen aus dem Süden Gazas nach Deir Al-Balah und Khan Younis vertrieben. Sie sind gezwungen, unter katastrophalen Bedingungen in extrem überfüllten Notunterkünften zu leben. Insbesondere Frauen und Kinder sind von Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch bedroht. Das ergab der Besuch einer Expertin von ̽ѡ (̽ѡ) im Süden und der Mitte Gazas.

Der Grenzübergang Rafah wurde Anfang Mai geschlossen und zwei Evakuierungsbefehle im Süden und vier im Norden Gazas angeordnet. Die humanitäre Lage verschlechtert sich immer weiter. Seitdem der Grenzübergang geschlossen wurde, können Mitarbeitende von Hilfsorganisationen, humanitäre Hilfsleistungen und dringend benötigter Treibstoff nicht nach Gaza gelangen. Somit müssen einige Hilfsprogramme derzeit ausgesetzt werden oder in andere Gebiete verlagert werden. Dadurch werden wichtige humanitäre Dienstleistungen, einschließlich Schutzmaßnahmen, gehemmt und vulnerable Bevölkerungsgruppen zunehmend gefährdet.

Ulrike Julia Wendt, ̽ѡ-Nothilfekoordinatorin für Kinderschutz, ist gerade aus Gaza zurückgekehrt: 

„Ich habe in Krisen- und Konfliktgebieten auf der ganzen Welt gearbeitet – aber das Ausmaß der Krise in Gaza ist beispiellos. Die Situation unterscheidet sich drastisch von anderen Konfliktgebieten. Die ständigen Luftangriffe sind eine allgegenwärtige Bedrohung. Es gibt keine sicheren Orte, wo die Menschen Zuflucht suchen können. Das macht die Situation unvergleichbar beängstigend. Als ich in Gaza ankam und durch die Stadtteile fuhr, fiel mir vor allem die große Anzahl an Kindern auf. Viele tragen keine Schuhe. Alle Schulen sind aufgrund der unaufhörlichen israelischen Bombardierungen geschlossen. Wenn die Schulen geschlossen sind, sind Kinder einem erhöhten Risiko von Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt ausgesetzt. Einfach ausgedrückt: Ihnen wird nicht nur ihre Kindheit verwehrt, sondern sie erleben auch extremes Trauma.

Es gibt Berichte über Haushalte, in denen nur Jugendliche leben. Gruppen von Kindern, die ihre Familien verloren haben, versuchen allein zu überleben. Und das bei extrem hohen Marktpreisen und kaum Bargeld. Diese Kinder können sich nirgendwo mit dem Nötigsten versorgen. Kritische Güter wie Binden oder Hygieneartikel für Frauen und Mädchen werden entweder nicht eingeführt, sind nicht verfügbar oder vor Ort sehr teuer. 

Das Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich Gewalt in Paarbeziehungen, sexueller Ausbeutung und Missbrauch ist enorm hoch. Insbesondere in überfüllten Notunterkünften sind Frauen und heranwachsende Mädchen häufig gefährdet, Gewalt zu erfahren. Die Bargeldknappheit verschlechtert die Lebensbedingungen. Kinder, insbesondere Mädchen, sind besonders gefährdet, wenn sie zum Geldverdienen losgeschickt werden. Junge Mädchen sind einem erhöhten Risiko von Früh- und Zwangsverheiratungen ausgesetzt. Wenn der Krieg noch lange andauert und Bildungsmöglichkeiten weiterhin unterbrochen werden, werden auch viele Mädchen in Gaza ohne das Wissen über ihre Gesundheit und ihre Rechte aufwachsen. Das kann zu einer Normalisierung von Gewalt gegen Frauen führen. Diese Risiken zeigen: Eingreifen ist notwendig. Wir müssen sichere Räume schaffen, um Schäden für die sexuelle und reproduktive Gesundheit junger Mädchen zu verhindern.

Der unmittelbare Bedarf sind also Unterkünfte und sichere Räume, in denen Frauen und insbesondere unbegleitete Kinder Unterstützung erhalten können. Dazu gehören Kinderschutzdienste, Unterstützung bei Gewalt gegen Kinder und psychosoziale Hilfe. Natürlich sind die drastischen hygienischen Bedingungen und der Mangel an Nahrungsmittel kritische Probleme. Aber das Trauma, das Palästinenser*innen, insbesondere Kinder erleben, ist unvorstellbar. 

Trotz allem ist es ermutigend zu sehen, wie die Gemeinschaft mit der Situation zurechtkommt und wie Freiwillige helfen.”

̽ѡ fordert einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand sowie eine deutliche Verstärkung der Hilfsmaßnahmen, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen. ̽ѡ ruft die Kriegsparteien dazu auf, sich an das humanitäre Völkerrecht zu halten und alle Geiseln freizulassen. Israel muss den ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe gewähren.

̽ѡ in Gaza

̽ѡ arbeitet derzeit mit Partnerorganisationen Juzoor for Health and Social Development, Anera und Nafs for Empowerment zusammen, um betroffenen Kindern in Gaza psychosoziale Unterstützung zu bieten. ̽ѡ wird die Arbeit mit Gemeindemitgliedern und Partnerorganisationen ausweiten, um Kindern und Frauen sofortigen Schutz und psychische und psychosoziale Unterstützung zu bieten. 

Für Kinder, Betreuungspersonen und Frauen werden Gruppensitzungen zur psychischen Gesundheit und psychosozialen Unterstützung angeboten, unter anderem zum Thema Elternschaft in Krisenzeiten. ̽ѡ arbeitet daran, Lücken zu schließen, wo Partnerorganisationen nicht präsent sind. Um Schutzrisiken zu verringern, werden gefährdete Frauen und Kinder finanziell und materiell unterstützt.